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Geschrieben von Olivaro am 01.11.2014 um 23:56:

Bibliothek des Hauses Usher Bd. 8: Besuch von Drüben von Algernon Blackwood



Besuch von Drüben

Gruselgeschichten

von Algernon Blackwood

Aus dem Englischen von Friedrich Polakovics

Titelillustration von Hans Ulrich & Ute Osterwalder

263 Seiten

Bibliothek des Hauses Usher Bd. 8

Erschienen 1970 im Insel Verlag



Inhalt:

1. Der Horcher

2. Die Spuk-Insel

3. Besuch von Drüben

4. Gestohlenes Leben

5. Kein Zimmer mehr frei

6. Ein gewisser Smith

7. Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York

8. Griff nach der Seele

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Nur der Mond schwamm immer noch leuchtend und wunderbar in den unermesslichen Weiten des funkelnden ukrainischen Himmels; ebenso majestätisch atmete die ungeheure Höhe, und die Nacht, die göttliche Nacht verglühte; ebenso schön lag die Erde im verzauberten Silberlicht.

Nikolaj Gogol: Die Mainacht oder Die Ertrunkene


Geschrieben von Olivaro am 19.01.2020 um 20:12:

Bereits ein Jahr, nachdem die Bibliothek des Hauses ihre Pforten geöffnet hatte, erschien dieser zweite Band mit unheimlichen Geschichten von Algernon Blackwood (1869-1951).

Zentrales Thema dieser acht Erzählungen sind Häuser, in denen es umgeht. Meist werden dort alleinstehende Männer heimgesucht, die entweder studieren oder ihren Hobbies nachgehen und in deren Leben langsam, zumeist unmerklich rätselhafte und unheimliche Einflüsse einsickern. Und in drei Erzählungen trifft man zudem bekannte Charaktere Blackwoods, nämlich den draufgängerischen Jim Shorthouse und den mit scharfem Verstand analysierenden Dr. John Silence.

Ein jüngerer Shorthouse erlebt als Privatsekretär seltsame Abenteuer, die einige atypische Merkmale von Blackwood-Geschichten aufweisen. Zum einen sind dies eine erstaunliche Blutrünstigkeit mit einer Andeutung von Kannibalismus, zum anderen der Umstand, dass die Schrecken, die Shorthouse auf Long Island erlebt, ziemlich weltlicher Natur sind - wenngleich nicht ausschließlich. Zudem fällt ein fast unmerkbarer und latenter Antisemitismus auf.

Auf gewohnt übernatürlichem Parkett bewegen sich dann die anderen Erzählungen, wobei ein älterer Shorthouse sich zweimal in dieselbe Gefahr begibt, um nur denkbar knapp mit dem Leben davonzukommen: "Gestohlenes Leben" ist ein Meisterwerk von sich ständig verdichtender Spannung und Atmosphäre, und die alte, einsam gelegene Scheune ist voll von Geräuschen, Bewegungen und Phantomen und tödlicher Gefahr, sodass der abrupte Schluss, eigentlich mitten im Geschehen, den Leser etwas unbefriedigt zurücklässt.

"Ein gewisser Smith", "Der Horcher", "Kein Zimmer frei" und "Besuch von Drüben" bieten den erwartetet feingewobenen Gespenster-Garn, wobei die letzte Geschichte trotz aller Unheimlichkeit in gleichem Maße auch anrührt: Ein Mann verabschiedet sich nach seinem Tod noch von seinem Freund aus Kindestagen.

Das Umschlagbild zeigt eine für diese Reihe seltene Übereinstimmung mit dem Inhalt: Das Motiv zeigt im erweiterten Sinn eine Szene aus der Titelerzählung und rundet somit eine sehr gelungene Sammlung klassischer englischer ghost stories ab.

Und der Erzählung "Gestohlenes Leben" entstammt ein in gleichem Maße sehr wichtiger wie auch richtiger Satz :

"Unser gesunder Menschenverstand schrumpft...auf ein Minimum zusammen, so daß alle Urteilskraft verdrängt wird von der Imagination und deren dienstbaren Geistern."

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Nur der Mond schwamm immer noch leuchtend und wunderbar in den unermesslichen Weiten des funkelnden ukrainischen Himmels; ebenso majestätisch atmete die ungeheure Höhe, und die Nacht, die göttliche Nacht verglühte; ebenso schön lag die Erde im verzauberten Silberlicht.

Nikolaj Gogol: Die Mainacht oder Die Ertrunkene


Geschrieben von Zwielicht am 19.01.2020 um 21:36:

Der unmerkbarer und latenter Antisemitismus ist mir gar nicht aufgefallen.
Mir gefiel die Geschichte aber außerordentlich gut.

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Geschrieben von Olivaro am 19.01.2020 um 22:05:

Die Geschichte selbst ist natürlich sehr grausig, aber es geht um die Gedankengänge von Shorthouse in Verbindung mit dem Bediensteten Marx und seine Bezeichnungen in Verbindung mit dessen Glaube. Blackwood möchte ich da nichts unterstellen, aber Shorthouse macht es nicht unbedingt sympathisch. Im "Wendigo" ruft Hank Davies seinem indianischen Koch Punk zu: "Komm herüber zu uns und wärm dir die dreckige Rothaut ein bisschen auf!" Heute reagiert man vielleicht differenzierter als damals, und persönlich mag ich solche Sachen nicht lesen.

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Nur der Mond schwamm immer noch leuchtend und wunderbar in den unermesslichen Weiten des funkelnden ukrainischen Himmels; ebenso majestätisch atmete die ungeheure Höhe, und die Nacht, die göttliche Nacht verglühte; ebenso schön lag die Erde im verzauberten Silberlicht.

Nikolaj Gogol: Die Mainacht oder Die Ertrunkene


Geschrieben von Zwielicht am 20.01.2020 um 08:08:

Schwierig. Was die Protagonisten sagen, muss nicht die Meinung des Autors sein.

Wenn dich sowas stört, dürftest du aber mit vieler alter Literatur ein Problem haben, das findet sich ja zuhauf.

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Geschrieben von Olivaro am 20.01.2020 um 11:05:

Zitat:
Original von Zwielicht
Schwierig. Was die Protagonisten sagen, muss nicht die Meinung des Autors sein.

Wenn dich sowas stört, dürftest du aber mit vieler alter Literatur ein Problem haben, das findet sich ja zuhauf.


Das meinte ich, dass ich Blackwood nichts unterstelle, aber seinem fiktiven Charakter. Bei Blackwood selbst kann man ja durchaus philanthropische Züge erkennen, und gerade Empathie zeichnet viele seiner Personen aus, vielleicht hat mich deshalb und diesem Fall Shorthousens Gedankenwelt so gestört. Ansonsten bin ich gegenüber der Litertur schon sehr tolerant und liberal eingestellt.

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Nur der Mond schwamm immer noch leuchtend und wunderbar in den unermesslichen Weiten des funkelnden ukrainischen Himmels; ebenso majestätisch atmete die ungeheure Höhe, und die Nacht, die göttliche Nacht verglühte; ebenso schön lag die Erde im verzauberten Silberlicht.

Nikolaj Gogol: Die Mainacht oder Die Ertrunkene


Geschrieben von Zwielicht am 20.01.2020 um 11:27:

Zitat:
Original von Olivaro
Zitat:
Original von Zwielicht
Schwierig. Was die Protagonisten sagen, muss nicht die Meinung des Autors sein.

Wenn dich sowas stört, dürftest du aber mit vieler alter Literatur ein Problem haben, das findet sich ja zuhauf.


Das meinte ich, dass ich Blackwood nichts unterstelle, aber seinem fiktiven Charakter. Bei Blackwood selbst kann man ja durchaus philanthropische Züge erkennen, und gerade Empathie zeichnet viele seiner Personen aus, vielleicht hat mich deshalb und diesem Fall Shorthousens Gedankenwelt so gestört. Ansonsten bin ich gegenüber der Litertur schon sehr tolerant und liberal eingestellt.


Manchmal will der Autor ja auch jemanden als leicht antisemitisch darstellen. Darf man auch nicht vergessen, wenn es auch im vorliegenden Fall eher unwahrscheinlich ist.

Ich habe zuletzt ein paar Bastei Kriminal-Romane gelesen, die sind ja schon was älter. Auffällig ist es, wie oft das Wort Neger benutzt wird. Das findet man so glaube ich heute auch nicht mehr.
In einem Cliff Corner Roman ist mir auch das Frauenbild ins Auge gefallen. Die Reporterin Susan Taylor ist echt taff, macht Judo und scheut nicht die körperliche Auseinandersetzung. Aber sie ist immer in der Opferrolle, genauso wie Corners Sidekick Tom Harris.
Susan Taylor ist sowas wie die Freundin von Corner. Sie haben keinen intimen Kontakt (das wäre in heutigen Romane völlig anders), aber sie kommt bei ihm vorbei um ihm ein Frühstück zu machen. Das hätte in einem heutigen Roman auch einen Aufschrei hervorgerufen.

Ich habe jetzt auch ein paar Bücher von Herausgeber Robert Bloch gelesen, das waren Kurzgeschichtensammlungen von vor dem ersten Weltkrieg. Da sind die Leute echt anders eingestellt gegenüber Juden, indigenen Völkern und auch generell Fremden.
Da muss man schon Abstand zu halten beim Lesen, da stimme ich dir auf jeden Fall zu. Als Zeitzeugnis ist das auf jeden Fall sehr interessant.

Ich weiß nicht ob du Arcana kennt?
https://www.verlag-lindenstruth.de/Belletristik/Bibliotheca_Arcana/ARCANA/arcana.html

In Arcana 18 ist "Über phantastische Literatur. Essay von Charles Nodier" enthalten. Das ist wirklich interessant und zwar nicht nur in Bezug auf die Phantastik, sondern auch und vor allem wie die Franzosen zu der Zeit über die Deutschen gedacht haben.
Und sie waren da nicht strebsam, pünktlich und nüchtern.
großes Grinsen Fand ich doch enorm überraschend.

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Geschrieben von Olivaro am 20.01.2020 um 13:30:

Zitat:
Original von Zwielicht

Manchmal will der Autor ja auch jemanden als leicht antisemitisch darstellen. Darf man auch nicht vergessen, wenn es auch im vorliegenden Fall eher unwahrscheinlich ist.


Genau das ist die Kernaussage, denn man brauche sich nur erinnnern an "Das leere Haus", wo Shorthouse sich rührend um seine alte Tante Julia bemüht und um ihr Wohlergehen besorgt war. Deshalb passt in den "seltsamen Abenteuern" dieses fast schon hasserfüllte Empfinden nicht recht zu diesem Bild. Wie wir andererseits in A Case of Eavesdropping/Durch die Wand erfahren haben, war Jim Shorthouse bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr schon eine Art Problemkind. großes Grinsen
Aus unzähligen anderen Lesestoffen kennt man diese Art von political uncorrectness ja, da liest man das einfach so mit, aber speziell bei Blackwood hat es mich dann doch etwas verwundert.

Zitat:
Original von ZwielichtIch weiß nicht ob du Arcana kennt?

Arcana? Mag ich gerne wegen der Mischung aus Fiction und Fact (wie Phaicon):

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Nikolaj Gogol: Die Mainacht oder Die Ertrunkene

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