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Geschrieben von Minnie Kromer am 03.08.2020 um 18:27:

Tick Tack

Tick Tack

Dieses Geräusch riss Ulli aus dem Schlaf. Er setzte sich auf, sah sich in seinem Schlafzimmer um. Das Mondlicht fiel durch das Fenster auf die geschlossene Tür.

Stille.

„Weg ist es. Oh je, das hab ich sicher nur geträumt." Der Vierzigjährige, legte sich seitlich und zog seine Decke über die nackte Schulter. Wieder:

Tick, tack
Tick, tack

Es schien diesmal lauter zu sein und er schreckte hoch.
Mit einem Blick auf die Uhr auf dem Nachtschränkchen, versicherte er sich, dass das Geräusch nicht von dort kam.

Stille.

„Boah 1.27 Uhr. Noch so viel Nacht.“ Mit einem Schnauben drehte er sich zur anderen Seite.
Nur um wieder, ganz leise, auf das nächste Geräusch zu warten. Doch es blieb aus und er schmunzelte über sich selbst. „Da liegt mir wohl die Pizza schwer im Magen." Kaum hatte er die Augen geschlossen, hörte er etwas anderes.
Kein Ticken. Nein. Es hörte sich nach Schritten an.
"Schritte? In meinem Haus? Um diese Zeit?" Er schwang seine Beine aus dem Bett und lief auf Zehenspitzen zur Tür. Mit einem Blick auf den Flur hatte er die Bestätigung. „Doch nicht geträumt.“

Peter, sein Vater, sah ihn erschrocken an.
„Junge, was erschreckst du mich so?“ Der alte Mann legte die Hand auf seine Brust.
„Das gleiche könnte ich dich auch fragen. Was machst du denn hier?“
Sein Vater, buckelig und gestützt auf einen Gehstock, antwortete nicht. Ohne ein weiteres Wort bahnte er sich seinen Weg an Ulli vorbei und hielt erst vor dessen Werkstatttür. In diesem Raum verbrachte Ulli die meiste Zeit.
„Was willst du denn jetzt hier?" Ulli unterdrückte ein Gähnen.
„Du wirst mir meine Uhr wieder geben.“

Ohne die Reaktion seines Sohnes abzuwarten, öffnete der alte Mann die Tür der Uhrenwerkstatt und trat in die Mitte des Raumes.
„Jetzt ist es so weit. Er wird senil.“ Ulli drehte sich unsicher herum. Wie sollte er nur mit dieser Situation umgehen? „Deine Uhr ist noch nicht fertig. Ich kann sie dir noch nicht geben. Lass mir noch ein paar Tage.“
Sein Vater schlug mit der Gehhilfe gegen den Arbeitsstuhl. „Nix da. Sie muss nicht repariert werden. Ich brauch sie nicht. Ich hatte genug Zeit mit ihr.“ Aufgestützt auf seinen Stock, schloss er die Augen und atmete tief ein. „Wie bei mir früher. Es riecht noch genauso.“

Ulli hörte seine Stimme nur entfernt. Er sah an seinem Vater herunter. Bekleidet, nur mit seinem Schlafanzug, musste er durch die Straßen geirrt sein. Bei klirrender Kälte, mitten in der Nacht. Seini Blick blieb an seinen Füßen hängen. „Mit Hausschuhen durch die Straßen.“ Sein Murmeln begleitete sein Kopfschütteln.
Bis zu dieser Begegnung glaubte Ulli, dass sein Vater keine Schwäche hatte. Dieser stolze und ehrwürdige Mann, der alles in seinem Leben erreichen konnte, was ihm wichtig war. Und nun stand er vor ihm. Er sah einen alten Mann, an dem die Zeit zerrte. So Hilflos. So verwirrt.

Er versuchte die Gedanken abzuschütteln und machte einen Schritt auf seinen Vater zu.
„Lass uns das Morgen besprechen. Ich bringe dich nachhause.“ Er griff nach dessen Arm, doch der Alte wich der Berührung aus. Peter schüttelte den Kopf und hing seinen Stock über die Stuhllehne. Ulli kannte seinen Vater und wusste, dass es keinen Zweck hatte, ihn zu irgendetwas zu zwingen.
„Alles nach deinem Willen.“ Er stemmte die Arme in die Seiten und seufzte.
Sein Vater sah ihn ernst an.
„Ganz recht mein Sohn. Komm du erst mal in mein Alter. Dann kannst du alle herum kommandieren. Das ist doch das Schönste.“
Für einige Sekunden trat Stille ein, bis die beiden Männer sich anlächelten. Ein vertrautes Lächeln, das Ulli schon als Kind geliebt hatte. Als wären sie auf verschwörerischer Mission.
Und doch hatte Ulli ein seltsames Gefühl im Bauch. Er ahnte, dass irgendetwas anders war.

So startete er einen neuen Versuch. „Was soll ich denn mit der Uhr machen?“ Er machte eine Kopfbewegung zu der Blechkiste auf dem Werkzeugregal. Diese Kiste hatte er schon als Kind bewundert und über die aufgedruckten Blätter und Bäume gestrichen.
„Weißt du noch, woher ich die Uhr habe?“ Peter riss ihn aus seinen Gedanken.
„Ja. Sie wurde dir von deinem Opa zur Geburt geschenkt.“ Es folgte ein Nicken und Peter sah sich weiter im Raum um. „So wie du deine Uhr bekommen hast, von deinem Opa.“

Ulli dachte zurück an die Traditionen seiner Familie. Viele Generationen vor ihm hatten die Uhrenwerkstatt betrieben bis zu seinem Vater. Dieser war der letzte in der Reihe. Denn Ulli wollte neue Wege gehen. Er schloss den Betrieb und eröffnete einen Onlineshop. Die Uhren wurden ihm eingesendet, er reparierte sie und schickte sie zurück.

Er liebte diese Art zu arbeiten, von zuhause aus. Noch mehr liebte er aber die Möglichkeit, immer am Familienleben teil zu nehmen. Die Verwandten schienen enttäuscht darüber zu sein, dass er das Unternehmen so verändert hatte. Ulli hingegen war glücklich, auch wenn es immer einen bitteren Nachgeschmack gab. Als hätte sein Vater seine Gedanken gelesen, drehte er sich zu ihm und lächelte ihn an. „Ulli“ ,Peters Stimme klang ernst, „ich war enttäuscht, als du mein Geschäft damals nicht haben wolltest. Aber ich sehe, dass es auch so geht. Es ist dein Ding, was du hier machst. Ich verstehe es zwar nicht, aber ich sehe, dass es dich glücklich macht.
Und dann: Bin ich es auch.“

Überrascht von seine Worten, beobachtete Ulli die Gesichtszüge von ihm und hoffte aus ihnen etwas lesen zu können. Denn solche Reden hörte er sonst nie von seinem Vater. Er genoss den Moment und nahm ihn hin. Ein Nicken und ein Lächeln. Das Ticken begann wieder.

Tick Tack
Tick Tack
Es wurde lauter. Diesmal wusste er, vorher es kam.

Tick Tack
Tick Tack

Ulli sah zur Kiste auf dem Regal. Er trat heran.

„Sie kann nicht gehen. Ich hab doch noch gar nicht die Teile ausgetauscht.“ Ulli nahm die Kiste und sobald er sie in den Händen hielt, stoppte das Ticken. Er sah auf. Er stand alleine in der Werkstatt. „Wo ist er hin?“ Er sah durch die Tür zum Flur hinaus und wusste, dass etwas nicht stimmte.
Da klingelte es. Erschrocken sah er auf das rote Telefon auf seiner Werkbank. Als er den Hörer abnahm, hörte er schon das Schluchzen seiner Mutter. Er sprach kein Wort.
„Ulli. Dein Vater.“Er nahm den Hörer vom Ohr und wusste genau, was sie ihm sagen wollte.
Kein Tick Tack mehr.
Er sah hinab, auf die Kiste in seinen Händen. Langsam öffnete er diese und entnahm die Uhr seines Vaters. Die Zeiger waren um 1.27 Uhr stehen geblieben.

Tick Tack

Ausgedacht und geschrieben von mir. Darf nicht kopiert oder anderweitig verwendet werden.


Geschrieben von Sinclair am 04.08.2020 um 06:12:

Nette kleine Kurzgeschichte. Allerdings ahnte ich schon bei der ersten Szene in der Küche, wie es am Schluss enden wird. Daumen_hoch

__________________
Nordsee oder Ostsee? - Hauptsache Meer !Daumen_hoch Buch
Lieblingsfußballvereine: FC Schalke 04, Holstein Kiel, SV Meppen, FC Hansa Rostock, VfB Oldenburg, VfB Lübeck, Kickers Emden
Sympathien für VfL Osnabrück und FC Erzgebirge Aue.


Geschrieben von Minnie Kromer am 04.08.2020 um 06:58:

Da gab es keine Küche.
Aber ja. Es ist ein Projekt meiner Schreibgruppe gewesen. Wir wollten alle etwas zum Thema Tod schreiben. Und das ist unter anderem einer meiner "werke". Mittlerweile ist der Text 3 Jahre alt und ich sehe viel Veränderungsbedarf.


Geschrieben von Herr der Finsternis am 04.08.2020 um 15:51:

Mir hat es gefallen! Buch


Geschrieben von Minnie Kromer am 04.08.2020 um 19:01:

Danke schön


Geschrieben von Sinclair am 05.08.2020 um 05:53:

Zitat:
Original von Melinda Gordy
Da gab es keine Küche.
Aber ja. Es ist ein Projekt meiner Schreibgruppe gewesen. Wir wollten alle etwas zum Thema Tod schreiben. Und das ist unter anderem einer meiner "werke". Mittlerweile ist der Text 3 Jahre alt und ich sehe viel Veränderungsbedarf.


Stimmt er hat seinen Vater ja im Flur getroffen. Trotzdem gut aber für mich auch wenig überraschend.

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Nordsee oder Ostsee? - Hauptsache Meer !Daumen_hoch Buch
Lieblingsfußballvereine: FC Schalke 04, Holstein Kiel, SV Meppen, FC Hansa Rostock, VfB Oldenburg, VfB Lübeck, Kickers Emden
Sympathien für VfL Osnabrück und FC Erzgebirge Aue.


Geschrieben von Minnie Kromer am 07.08.2020 um 07:40:

Ja. Bei vielen Geschichten ist es ja so, dass man schon erahnt, wer was ist oder war. Geht mir oft bei Filmen so. Diese vierseitige Übung ist für mich der erste Schritt an die Öffentlichkeit gewesen. Ich habe sie bei einer Lesung vorgetragen.
Eigentlich stehe ich total auf den großen Knall am Ende. Manchmal gelingt er nun mal nicht für alle.

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