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Wenn die Süße des geringen Preises verflogen ist, die Bitterkeit minderer Qualität wird bleiben.
"Wer bist du?", fragte Carrie, als Rufus Agadir ihr das Geheimnis offenbarte, das tief im Basalt des Plateaus schlummerte, wohin sie sich unter Agadirs Führung begeben hatten.
"Ich meine: Wer bist du wirklich?"
"Um das zu erklären, müsste ich mit dem beginnen, der ich war."
"Dann tu es. Ich bitte dich."
so endet das "Flüstern in der Tiefe", der Auftaktroman zum preisgekrönten Amulette-Vierteiler...
und bäms! schickt uns Herr Weinland im zweiten Teil wieder in die Vergangenheit - ins Jahr des Herrn 1243.
die inhaltliche Zusammenfassung schenke ich mir hier, das wäre unnötige Wiederholung von bereits vielfach Gesagtem, daher gleich weiter zu meinen Eindrücken. trotzdem Achtung - Spoilergefahr!
der Roman lässt in mir Anklänge an Parzival ertönen - die Wandlung vom reinen Tor zum Auserwählten ist die Parallele zu Kelans Entwicklung vom achtjährigen Knaben zur Schlüsselfigur, und Thibaut ähnelt dem kampferprobten und klugen Gawain, der reinste Ritter der Tafelrunde. die Gralsuche wäre demnach die seit hundert Jahren dauernde Suche nach Höllensternen... unsere Handlung spielt im Frankreich des 13. Jahrhunderts, da entstand auch Eschenbachs Versroman, basierend auf der Artuslegende - Zufall?
der Autor gibt viel, aber noch nicht alles über die Amulette preis. Thibaut erklärt das alles Kelan, und damit der Autor mir, einfühlsam, und wie der Junge staunt, so gehen mir reihenweise die Lichter auf. die Höllensterne sind natürlich nichts anderes als Amulette, wie auch unser Professor eines trägt. und hier wird schon klar, dass sie alle auch ein Eigenleben haben, und ihre Träger korrumpieren.
die Mutter Kelans hat nur einen Kurzauftritt, sie ist die Dorfschönheit, mit wogendem Busen, aber zierlich, und überraschend resoluter Stimme. bei der Beschreibung musste ich schmunzeln, das verging mir rasch, als sich die arme Frau in ihrer Verzweiflung selbst Gewalt antut.
Thibaut erzählt, dass die Ordensgründung wohl vor hundert Jahren erfolgte, also um elfhundertbofti. ich kenne Herrn Weinland mittlerweile gut genug, dass ich glaube, das hat später noch etwas zu bedeuten?
auch sind die Menschen im Dorf unter der Burg besonders abergläubisch, zumal der Landstrich vor nicht allzu langer Zeit von einem Diener der Hölle heimgesucht worden war. wieso wird diese Anektdote mit dem Huhn überhaupt erzählt? auch das ein Puzzlestück für später? wurde deshalb der Orden überhaupt erst gegründet? vieles bleibt noch unerklärt, vielleicht sehe ich auch Gespenster, haha.
diese ganze Backstory der Amulette ist natürlich interessant und bringt wichtige Details ans Licht, freilich kann der Autor das nicht nur in Dialogen zwischen Thibaut und Kelan abhandeln, daher packt er einige Actionszenen dazu wie den Amoklauf eines Ritters, den ersten Kampf Kelans gegen Dämonen, die Rettung Kelans durch Thibaut und schließlich die Mission in der neuen Welt.
erzählerischen Kunstgriff - das alles träumt, nein erlebt Carrie, denn sie fühlt, was Kelan fühlt, als wäre sie er. quasi die Rahmenhandlung unserer Geschichte.
kurz vor Ende taucht Carrie dann nochmal auf, sie wird von Rufus Agadir unversehens aus dem Traumgesicht herausgezogen - und sie erkennt - Rufus ist Kelan! und sie erkennt auch die mächtige Ordensburg, sie hat ja selbst darin gelebt - es ist Zamorras Schloß Montagne...
frei nach Aristoteles wäre das der vierte Akt, also die Verlangsamung zum Luftholen nach dem Höhepunkt (die im Traum erlebte Ermordung des Priors), bevor es im fünften Akt zur Katharsis kommt. Carrie als griechischer D(r)amenchor? ich will's mal nicht übertreiben.
der letzte Akt bringt aber natürlich keine Auflösung, sondern einen Cliffhanger - der Beginn des Kampfes in einer Wüste in der neuen Welt. der Autor muss hier nicht mehr explizit erwähnen, dass wir im heutigen Peru nahe Nazca sind, dem Schauplatz des ersten Romans... zumindest verstehe ich es so.
sprachlich wieder unaufgeregt. Herr Weinland versucht nicht, mittelalterlichen Duktus zu imitieren, sondern verwendet moderne Sprache. Gefühle werden authentisch erzählt, und nicht übermäßig ausgewalzt wie zB im aktuellen Phönix-Zyklus bei Perry Rhodan, wo man sich gerade sehr um YA-Kompatibilität bemüht. einige schöne Begriffe werden gebracht, vor allem zur Beschreibung der Dämonen, wie "Gezücht bar jeder Menschlichkeit" oder "Bodensatz der Schöpfung".
viel Stoff, aber interessant verpackt und geschickt serviert. streckenweise fesselnd, vor allem die erste Auseinandersetzung Kelans mit dem Kroppzeug. ich schwanke bei der Punktevergabe zwischen gut und sehr gut, halte mich aber noch zurück. der bestimmte Funke hat mir hier noch gefehlt.
das Titelbild vom Shutterstock-Contributor FXQuadro, "Knight with sword in battlefield with dark clouds on background", kann man mögen, muss man aber nicht. hier gibt's mehr dazu: https://www.shutterstock.com/g/fxquadro