Die verschrobene Prudence Rutledge hat drei Männer aus dem Dorf in ihr Herrenhaus im Wald bestellt. Dort eröffnet sie dem Trio, dass ihr Mann von einem Fluch betroffen ist. Eine Wiedergängerin lockt ihn immer wieder zu einer alten Hütte am Weiher und saugt ihm dort die Lebenskraft aus. Stimmt diese Spukgeschichte oder ist der Mann nur von einer schlimmen Krankheit betroffen? Der Dorfpfarrer, der Vater der vermeintlichen Wiederauferstandenen und ein junger Mann begeben sich auf Spurensuche... __________________
Hier haben wir wieder eine minimalistische Füllfolge. Bis auf das Finale und einige kurze Szenen aus der Vergangenheit der Figuren spielt die Handlung im Kaminzimmer der Rutledges. Es wird nur geredet. Oder auch nicht. Dieses mal hat es sich das Produktionsteam zur Aufgabe gemacht, die Dialoge und alles was dazu gehört kunstvoll zu vertonen. Zum Beispiel wenn die Beteiligten auf die Ankunft von Mr. Rutledge warten und das unangenehme Schweigen für den Hörer übermächtig ist, nur unterbrochen vom Ticken der Wanduhr. Da nur fünf wichtige Sprecher am Tisch sitzen, kann und muss man dieses mal ruhig auf sie eingehen. Bei der actionarmen Gesprächsrunde tragen sie die ganze Last auf den Schultern, das Hörspiel für den Käufer unterhaltsam zu gestalten. Uli Krohm als Sylvester Brand, der durch seine Wutausbrüche die nötige Portion Unruhe in das Kopfkino bringt. Jochen Schröder spricht den Diakon Hibben, der dann versucht die Situation zu beruhigen und als diplomatisches Element keine der Seiten vorverurteilt. Frank Schaff als Orrin Bosworth, welcher so seine eigenen Erfahrungen mit unheimlichen Frauen gemacht hat. Zuletzt Susanne Uhlen als die unheimliche und beherrscht-dominante Prudence Rutledge und als ihr abgemagerter Ehemann der Sprecher Ernst Meincke. Jede der Figuren hat ihre Rolle, ihren prägnanten Charakter, und trägt zur Dynamik dieses Kammerspieles bei. Natürlich sind auch die Nebenrollen gut besetzt. Genau so elementar wie die Sprecher sind die Soundeffekte als Stütze des Gesprächs. Bei dem Minimalismus sticht jeder Windzug hervor, jede knarrende Tür lässt aufhorchen.
Die Vertonung von Edith Whartons Gespenstergeschichte lässt sich Zeit, geht ihr Ziel langsam an. Eine gute Dreiviertelstunde vergeht, bevor man sich endlich zum Ort der Spukerscheinung aufmacht und der Sache auf den Grund geht. In den letzten 20 Minuten erfahren einige der Hauptfiguren mehr, der Hörer wird letztendlich im Unklaren gelassen, was hinter der Wiedergängerin steckt. Oder war es am Ende gar kein Wesen aus der Hölle, sondern ein normaler Mensch?
Gruselhörspiel kann jeder. Das hier ist Kunst. Wie ein abstraktes Gemälde, das man sich geduldig aber aufmerksam längere Zeit ansehen muss, bevor man für sich ein Motiv hineininterpretieren kann. Durch die Bank eine Bestnote für die Sprecher. Trotzdem muss ich Abstriche wegen der mangelnden Handlung machen. Diese Folge war ein prima Nischenprodukt und kein Bestseller.
(7 von 10 Punkten) in der Vergleichswertung, für sich genommen aber volle Punktzahl. Das was die Vertonung sein will ist sie perfekt.
https://gruselroman.fandom.com/de
Aktuelle Lesereihenfolge:
1. John Sinclair
2. Maddrax
Und wer die literarische Vorlage kennenlernen möchte, dem sei der Band __________________
Edit Wharton: Gespenstergeschichten (Suhrkamp-Taschenbuch Bd. 1806)
empfohlen. Neben der erwähnten Erzählung (die 24 Seiten umfasst) findet der Litaturfreund zehn weitere, sehr unheimliche Geschichten von Mrs. Wharton.
Nur der Mond schwamm immer noch leuchtend und wunderbar in den unermesslichen Weiten des funkelnden ukrainischen Himmels; ebenso majestätisch atmete die ungeheure Höhe, und die Nacht, die göttliche Nacht verglühte; ebenso schön lag die Erde im verzauberten Silberlicht.
Nikolaj Gogol: Die Mainacht oder Die Ertrunkene