VHR Band 435: Besuch aus einem Totenhaus von Uwe Voehl
Prolog
Frauen gehören nachts nicht auf die Straße, dachte Ilona. Sie war bei einer Freundin gewesen, und es war spät geworden. Ilonas Wohnung befand sich direkt in der Innenstadt, aber um diese Zeit waren die Straßen menschenleer. Die Auslagen in den Schaufenstern wirkten grotesk, und die Schaufensterpuppen schienen bis auf Ilona ihre einzigen Betrachter zu sein. Von der nahen Rathausturmuhr schlug es eins. Rechts tauchte das kleine Theater auf, das erst vor zwei Wochen eröffnet worden war, und wäre es nicht so klein gewesen, hätte es dem etablierten Stadttheater sicherlich Konkurrenz bereitet. Ilona war schon fast an dem Gebäude vorbei, als ihr bewußt wurde, daß hinter der Eingangspforte noch Licht brannte. Vielleicht war es noch immer geöffnet. Ilona kam der verrückte Gedanke, sich um diese späte Stunde noch die laufende Vorstellung anzusehen. Sie wußte nicht, was gespielt wurde, da keine Plakate aushingen. Es sollte sich um ein Experimentierstück handeln, hatte sie irgendwo gehört.
Verfasst von Uwe Voehl
Titelbild von Udo Linke
Erschienen am 16.06.1981
Der Henker, Bd. 2
Ein Nachdruck erfolgte als Dämonen-Land Bd. 74
__________________
Nur der Mond schwamm immer noch leuchtend und wunderbar in den unermesslichen Weiten des funkelnden ukrainischen Himmels; ebenso majestätisch atmete die ungeheure Höhe, und die Nacht, die göttliche Nacht verglühte; ebenso schön lag die Erde im verzauberten Silberlicht.
Nikolaj Gogol: Die Mainacht oder Die Ertrunkene