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Tulimyrsky Tulimyrsky ist männlich
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22.07.2019 14:12
Teil 7: Das Amulett
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Das Amulett

„Es gibt noch eine zweite Gruft!” Ich saß im Auto und starrte fassungslos auf mein Handy. „Hast du gerade gesagt, dass noch eine zweite Gruft existiert?” „Ja! Jane hat mich gerade angerufen. Du warst nicht zu erreichen.” „Danke, Glenda, ich rufe Jane sofort zurück.” Ich beendete das Gespräch mit Glenda und bemerkte im gleichen Atemzug, dass ich tatsächlich einen verpassten Anruf hatte. Ich tippte auf das Symbol und mein Handy stellte die Verbindung zu Jane Collins her.
„Hallo, John!”, begrüßte mich Jane. „Wo bist du?” „Ich komme gerade aus dem Haus von Mrs. Miller, der Mutter eines der Opfer aus Potters Bar.” „Also hast du einen kleinen Moment Zeit?” „Ja, ich sitze im Auto!”

„Gut. Es geht um die Familie Carmine. Mir ist der Name in einem Buch über Mythen und Legenden des 19. Jahrhunderts aufgefallen, weil er auf den ersten Blick nicht sehr britisch klang. Die Familie Carmine soll angeblich über Geld verfügt haben, obwohl sie nicht zu den Adelskreisen gehörte. Es wird berichtet, dass sich die Carmines, allen voran die namentlich nicht erwähnte Ehefrau, dem Okkultismus hingaben. Irgendwo wird auch ein Landhaus erwähnt. Ferner heißt es, dass sich die Carmines zu Lebzeiten zwei unterirdische Grabstätten errichten ließen und dort Orgien, okkulte Rituale und sogenannte Zeremonien des Blutes abhielten. Was auch immer das bedeutet.” Ich unterbrach Jane. „Das könnte ich dir sagen. Leider habe ich eine davon miterlebt.”

Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich vor meinem inneren Auge die Dunkle Mutter mit hoch erhobenen Armen die Zeremonie des Blutes einleiten sah. „Aber erzähl bitte weiter”, bat ich Jane.

„Bei diesen Ritualen und Beschwörungen soll es Menschenopfer gegeben haben. Einige junge Frauen, die als Hausmädchen angestellt waren, verschwanden und tauchten nie wieder auf. Bis auf eine einzige Ausnahme.” Jane machte eine Pause. „Ausgerechnet am Neujahrstag des Jahres 1876 erschien im Londoner Norden eine völlig orientierungslose und scheinbar verwirrte junge Frau. Sie trug nichts weiter als ein dünnes Nachthemd. Ihre Arme und Beine waren blutüberströmt. Schnitte und offene Wunden durchzogen ihren gesamten Körper. Sie wurde sofort in ein Krankenhaus gebracht. An ein Verhör war gar nicht zu denken, da sie nicht einmal mehr im Stande war, sich zu artikulieren. In ihren Wachphasen wippte sie nur hin und her, in ihren Schlafphasen hingegen stammelte sie wiederholt und zusammenhanglos irgendetwas von Ritualen, Opfergaben und erwähnte den Namen Carmine.

Am zweiten Tag nach ihrer Einlieferung war sie auf einmal verschwunden. Die Ermittlungen der Polizei ergaben nichts. Nicht einmal einen Hinweis auf die Carmines. Ein paar Tage später aber will die Nachtschwester der Station gesehen haben, wie eben jene Frau in den Krankenhausgängen auf und ab wandelte als suche sie etwas. Die Krankenschwester sprach sie an und ging auf sie zu, doch erneut verschwand die junge Frau spurlos.

Wieder ein paar Tage später hörte dieselbe Schwester Geräusche aus einem Zimmer, von dem sie wusste, dass es nicht belegt war. Sie öffnete die Tür und sah am offenen Fenster eine weinende Frau sitzen. Noch bevor die Krankenschwester reagieren konnte, sprang die Frau laut kreischend auf und stürzte sich aus dem Fenster. Die Schwester blickte durch das Fenster auf den Boden. Aber weit und breit war nichts zu sehen. Weitere Geistererscheinungen wurden in dem Zusammenhang nicht mehr gemeldet.”

„Gibt es nähere Angaben zum Standort der Grabstätten?” „Leider nein. Keine von beiden wird näher beschrieben. Tut mir leid, John.” „Wäre ja auch zu schön gewesen”, murmelte ich und verzog den Mund. „Jetzt wissen wir zwar, dass wir nach einer zweiten Gruft suchen müssen, aber wir wissen nicht wo.” „Ich bleib am Ball und melde mich, sobald ich noch etwas herausfinde.” „Danke, Jane, du bist ein Schatz!” Ich beendete das Gespräch und steckte das Handy in die Freisprechanlage. Was nun? Wie sollte ich diese Grabstätte finden? Ich musste zuerst mehr über das Amulett in Erfahrung bringen. Vielleicht würde es mich zur Gruft der Dunklen Mutter führen können.

Plötzlich hörte ich ein Klopfen. Verwundert blickte ich nach links. Durch die Scheibe des Beifahrersitzes lächelte mich eine junge Frau zaghaft an. Ihre wilde, rote Mähne und ihr froschgrünes Kleid ließen keinen Zweifel aufkommen. Es war Amber, meine Lebensretterin.
Ich sah, wie die schwarzen Blitze aus den Fingern der Dunklen Mutter auf mich zu schossen und mich getötet hätten, hätte Amber nicht eingegriffen und die Blitze abgewehrt.

Bevor ich die Fensterscheibe nach unten fahren konnte, hatte Amber die Autotür schon geöffnet und sich schwungvoll auf den Beifahrersitz fallen lassen.
„Vielleicht kann ich da helfen!“

Ich starrte sie noch immer vollkommen perplex an. Amber lachte und sagte: „Guten Tag, John! Danke, dass ich mitfahren darf. Es ist ein langer Weg bis zum Carmine House. Du solltest jetzt besser losfahren.”

Die junge Frau mit den roten Haaren lachte noch einmal glockenhell auf und deutete mit einem Grinsen nach vorne. „Dort ist die Straße, Geisterjäger.” Sie nickte heftig mit ihrem Kopf und lächelte mich an. „Und die Straße ist dein Freund. Aber nur, wenn du auch endlich losfährst.”

Ich schaute auf die Straße, drehte den Zündschlüssel herum und fuhr los.

-

„Geh mir aus den Augen, du schreckliches Kind.” Greta Brings schrie ihre kleine Tochter an. „Schau mich an, wenn ich mit dir rede! Vor ein paar Jahren war ich noch eine wunderschöne schlanke Frau. Dann kam dein Vater und hat mich geschwängert. Und als ich dann immer dicker wurde, ist er einfach abgehauen und hat mich mit dir zurückgelassen.”

Greta Brings griff zur Flasche auf dem verdreckten Wohnzimmertisch und goss sich großzügig in ein ebenso verdrecktes Glas ein. Die kleine sechsjährige Deborah stand eingeschüchtert im verqualmten Wohnzimmer und schaute betreten auf den Boden.

Am liebsten wäre sie weggelaufen und hätte sich unter ihrer Bettdecke verkrochen. Ihre Mutter nahm das Glas in die Hand und kippte das hochprozentige Getränk in einem Zug hinunter.

Mit einem lauten Knall, der Deborah zusammenzucken ließ, stellte Greta Brings das Glas zurück auf den Tisch und klaubte eine Zigarette aus der Schachtel, die sie mit einer leicht schwankenden Bewegung anzündete. „Geh mir aus den Augen, du missratenes Miststück.

Wenn ich nicht Geld für dich bekommen würde, hätte ich dich schon längst weggegeben.” Greta Brings zog an ihrer Zigarette und stieß den Rauch aus. „Keiner mag dich. Selbst meine Katzen finden dich Scheiße.” Als wäre der letzte Satz ein Kommando gewesen, fauchten zwei Katzen auf und ließen Deborah ängstlich zwei Schritte nach hinten gehen.

„Jetzt hau endlich ab und komm mir nicht vor morgen früh wieder unter die Augen!” Greta Brings hob ein Kissen auf und schleuderte es halbherzig nach ihrer Tochter. Deborah huschte aus dem Wohnzimmer und flüchtete in ihr kleines Zimmer, welches nichts weiter war als eine kleine Abstellkammer.

Sie legte sich weinend in ihr kleines Bett und zog die Decke weit über den Kopf, schon allein um dem beißenden Gestank des Katzenurins zu entkommen, der überall in ihrer Kammer verteilt war.

Deborah schloss ihre tränennassen Augen und dachte: ‘Ich bin so traurig. Warum kann ich nicht einfach tot sein? Dann wäre Mama wieder glücklich. Ich bin so allein. Dabei will ich doch nur lachen und kuscheln…‘ Dann schlief Deborah ein.

„Deborah! Kleine süße Deborah! Wach auf! Es ist Zeit zu gehen!” Verwirrt machte Deborah die Augen auf. „Du kannst mich noch nicht sehen, Deborah, aber ich bin bei dir. Wenn du willst kannst du mit mir kommen. Wir sind eine große, tolle Familie, mit einer tollen Mutter, die sich um uns kümmert.” Deborah hörte die flüsternde Stimme und setzte sich auf.

„Wer bist du?”, fragte Deborah, „Wo bist du?” Die Stimme kicherte leise. „Ich habe dich gehört. Du bist traurig, weil du so allein bist. Komm zu uns. Komm mit mir. Ich warte auf dich vor der Tür, zusammen mit unserer Mutter.” Deborah stand auf. Da sie noch immer vollständig bekleidet war, schlüpfte sie durch ihre Zimmertür und verharrte im stickigen Flur. Aus dem Wohnzimmer drang nur das laute Schnarchen ihrer betrunkenen Mutter. Vorsichtig öffnete sie die Wohnungstür einen Spalt und wagte einen Blick hinaus.

Das Treppenhaus lag dunkel und verlassen vor ihr. Schon wollte sie enttäuscht die Tür schließen, als ein heftiger Stoß sie weit aufschlug. Erschrocken trat Deborah zurück und wollte aufschreien. Eine Junge in ihrem Alter erschien und legte fröhlich grinsend seinen Zeigfinger auf die Lippen. „Leise! Deine Mutter darf nicht aufwachen. Noch nicht.” Der Junge streckte seine Hand aus und sagte leise: „Ich bin Andrew. Und das hier ist unsere Mutter, von der ich dir erzählt habe.”

Wie ein Geist erschien eine ganz in Schwarz gekleidete Frau, die auf Deborah den Eindruck einer Nonne machte. Sie ging in die Hocke und schaute Deborah in die Augen. „Hallo, mein süßes Kind! Man nennt mich die Dunkle Mutter. Wenn du willst, darfst du mit uns kommen und bei uns bleiben. Ich kann dir versichern, alles ist besser als hier. Willst du mitkommen?”

Deborah zögerte und warf einen unsicheren Blick in Richtung Wohnzimmer. Dort drin schlief ihre Mutter. Ihre Mutter? Wer war ihre Mutter? Sie gab sich einen Ruck und drehte sich zu Andrew und der Dunklen Mutter um. „Ja, ich möchte mit euch kommen.” Da grinste die Dunkle Mutter teuflisch, nahm Deborah bei der Hand und sagte triumphierend: „Herzlich willkommen in unserer Familie.” Sie nahm sie in den Arm und drängte Deborah einen Kuss auf den Mund. Andrew stand nur ausdrucklos daneben.

„Du weißt, was du zu tun hast, Deborah!” Mahnend hob die Dunkle Mutter ihren Finger. „Ja, ehrwürdige Mutter!” „Gut. Wir und dein neues Leben warten unten.”

Die Dunkle Mutter nahm Andrew an die Hand und verschwand mit ihm. Deborah drehte sich um und ging in die kleine Küche, in der es nach Katzenfutter und Fäkalien stank. Sie zog eine Schublade auf, nahm etwas heraus und begab sich ins Wohnzimmer.

„Hallo, Mutter!”, flüsterte sie, „Ich gehe jetzt. Aber du gehst vor mir.” Und als hätte sie nie etwas anderes gemacht, schlitzte Deborah ihrer Mutter die Kehle von einer Seite zur anderen auf.

-

Amber lotste mich auf die M25, die nach Westen führte. „Du wirst einige Fragen haben, schätze ich.” „Einige Fragen ist gut”, antwortete ich. „Es sind eher sehr, sehr viele Fragen.” „Dann schlage ich vor, dass ich einfach erzähle und du zuhörst. Vielleicht beantwortet das schon viele deiner Fragen.” „Okay. Fang an.”

Ambers Geschichte
„Ich kann mich weder an meine Eltern noch an meine frühe Kindheit erinnern. Als erstes erinnere ich mich an Nana. Sie war meine beziehungsweise unsere Großmutter. Wenn vielleicht auch nicht unsere richtige. Aber das spielt wohl keine Rolle. Jedenfalls hat sie uns aufgezogen. Meine Schwester Cattiva und mich.

Lange Zeit waren Cattiva und ich eins. Wie das halt bei Zwillingen so ist. Wir ergänzten uns, wie machten alles zusammen. Nana war eine gütige und weise Frau, die uns viele Sachen beibrachte, ohne dass wir das merkten. Ihre Schule war quasi das tägliche Leben. Dort, wo wir lebten, war es wunderschön. Eine wundervolle Gegend voller Leben, Sonnenschein und Freude. Es war das Paradies, aber Nana warnte uns eindringlich vor der anderen Seite. Vor der dunklen Seite. Dort gab es Geschöpfe, die für das Leben nichts übrig hatten und nur zerstören und töten wollten. Böse Geschöpfe, die auch uns gefährlich werden konnten. Aber dazu später.

Unser paradiesisches Leben bekam die ersten Risse, als Cattiva und ich gemeinsam ein Hasentier aufzogen. Wir hatten es beim Spielen im Wald gefunden. Es war verletzt und konnte sich selbst nicht mehr helfen. Sein Bein war gebrochen. Wir brachten es zu Nana. Sie schiente sein Bein und wir pflegten das kleine Hasentier gesund. Wie es sich gehörte, ließen wir es wieder in die Freiheit, aber es kam immer wieder zurück und ließ sich von uns streicheln und füttern.

Eines Tages dann aber lag es mit verdrehtem Kopf auf der Wiese, wo Cattiva und ich immer mit ihm gespielt hatten. Cattiva saß dort auf einem Stein. Ich habe sie noch nie so zornig gesehen.

Sie schrie, dass das Vieh selbst daran schuld sei, dass es jetzt tot da lag. Auf meine Frage, was denn passiert sei, ist sie nicht eingegangen. Sie war wütend und zornig und hörte nicht auf zu schreien. Ich habe das tote Tier dann aufgehoben und bin damit zu Nana.

Sie hat sofort gesehen, was passiert war. Sie nahm mich in die Arme und tröstete mich. Geschimpft hat sie nicht. Nana hat nie geschimpft. Ich habe sie gefragt, wie das passieren konnte und warum Cattiva so zornig war.

Nana hat geantwortet, dass in unserem Inneren verschiedene Tiere lebten. Eines sei die Güte, eines sei Liebe, eines sei die Wut und eines der Hass. Großmutter erklärte mir, dass diese Tiere darüber bestimmten, wer wir sind und was wir tun. Manche Tiere würden größer und verdrängten die anderen. Ich habe sie gefragt, wie sie denn größer werden können, wie sie wachsen. Sie hat mich traurig angesehen und leise gesagt, dass in mir jenes Tier wachse, welches ich am Besten füttere.

Ich fing zu weinen an und schrie, dass der Hass und die Wut verhungern sollen. Ein Blitz zuckte herab und schlug einen Meter entfernt von uns in den Boden. Nana schaute mich erschrocken und mit großen Augen an. Dann bin ich weggelaufen. Spätestens an diesem Tag hat Nana wohl erkannt, dass ich anders war.”

„Du bist also in Aibon aufgewachsen”, sagte ich feststellend.

„Ja, so nennt man unser Land. Nana erkannte damals, dass starke Kräfte in mir wohnen. Und auch in Cattiva. Sie lehrte uns, wie wir diese Kräfte einsetzen können, wie wir uns schützen und verteidigen können. Wir arbeiteten hart an uns. Irgendwie war unsere Kindheit an diesem Tag zu Ende.

Eines Tages waren Cattiva und ich unterwegs. Wir machten Übungen, die uns Nana gezeigt hatte. Einfache Übungen, aber trotzdem kompliziert. Es ist etwas anderes, seine Kräfte auf ein Lebewesen zu richten als auf einen Gegenstand. Wir übten, als plötzlich aus dem Wald ein Tier auf die Wiese trat und uns interessiert zusah.

Cattiva meinte, dass wir jetzt endlich einmal richtig trainieren sollten, anstatt bloß Übungen zu machen, bei denen nichts passieren konnte. Sie wandte sich zu dem Tier um und begann, es mit ihren Kräften anzugreifen. Ich aber konnte es doch nicht zulassen, dass ein unschuldiges Lebewesen zu Schaden kam und stellte mich gegen sie. Ich wehrte ihre Angriffe ab, bis sie mich schließlich selbst attackierte und ich benommen am Boden lag.

Sie war mir völlig fremd geworden. Sie stand über mir und blickte fast schon mit Verachtung auf mich herab. Dann tötete sie das arme Tier. Es kam mir vor, als wäre das eine Bestrafung für mich gewesen. Weil ich es gewagt hatte, mich gegen sie zu stellen. Aber was hätte ich denn tun sollen?

Seit diesem Vorfall gingen wir getrennte Wege und obwohl ich unserer Großmutter kein Wort davon erzählte, schien sie Bescheid zu wissen. Sie sah mich traurig an und versuchte mich ein weiteres Mal zu trösten.

Unser Leben ging weiter, auch ohne Cattiva. Bis zu dem Tag, als die Männer in Grau auftauchten und Nana und mich grundlos angriffen. Bis dahin hatte ich noch nie einen fremden Angriff auf uns erlebt. Die Männer waren zu viert und tauchten einfach auf. Ihre böse Aura ergriff uns schon von weitem, aber wir konnten nicht mehr flüchten. Ihre mentalen Angriffe konnte ich mit einiger Mühe und Schutzzaubern abwehren, aber als sie ihre Messer zückten und körperlich gegen uns vorgingen, hatte ich ihnen nichts mehr entgegen zu setzen.

Mit meinem Kampfstab konnte ich noch einige Messerstöße abwehren, aber sie waren einfach die besseren Kämpfer. Und als Nana von einem Messer verwundet worden war, dachte ich schon, dass unsere letzte Stunde geschlagen hatte.

Da hörten wir plötzlich die Melodie einer Flöte. Wie aus dem Nichts tauchte eine Gestalt auf, die ich nicht kannte. An seiner Seite ging ein kleiner Junge, dessen Augen sowohl etwas Faszinierendes als auch etwas Bedrohliches hatten.

Die beiden Fremden vernichteten die Männer in Grau. Nana war schwer verletzt. Leider konnten uns die beiden, die sich als der Rote Ryan und Elohim vorstellten, nicht mehr helfen und so starb Nana in meinen Armen. Als ihre Augen brachen und sie hinüber ging in die andere Welt, sah ich Cattiva weit entfernt auf einer Bergkuppe stehen. Sie hatte also die Männer in Grau zu uns geführt.

Der Rote Ryan und Elohim boten mir an, bei ihnen zu bleiben, aber ich hatte erst noch etwas zu erledigen, bevor ich mich entscheiden konnte, wie ich weiterleben wollte. Ich musste meine Schwester für den Tod von Nana zur Rechenschaft ziehen. Um es kurz zu machen: Ich fand sie und wir kämpften.

Es war ein harter Kampf, aber diesmal ließ ich mich nicht überrumpeln. Ich stieß sie schließlich von einer Klippe und sah zu, wie ihr Körper auf dem Grund zerschmetterte. Mit meinen Kräften am Ende und traurig über die Verluste von Nana und Cattiva fand mich eine andere Person und nahm mich unter ihre Fittiche. Nora Thorn. Den Roten Ryan und Elohim habe ich seitdem nie mehr getroffen.”

-

Schweigend fuhren wir weiter. Ich musste Ambers Geschichte erst einmal sacken lassen. Irgendetwas daran störte mich. Es dauerte ein wenig, bis es bei mir ‚Klick‘ machte. Nora Thorn passte nicht ins Bild. Angeblich war Nora Thorn von Außerirdischen entführt worden, die ihr dann auf mysteriöse Weise die Fähigkeit verliehen, gegen Vampirbisse immun zu sein. Was hatte sie dann in Aibon zu schaffen? Oder waren es gar nicht Außerirdische gewesen, die Nora entführt hatten? Vielleicht war sie damals als normaler Mensch nach Aibon gebracht worden und nicht von Außerirdischen entführt. Wie ich es drehte und wendete, eine klare Antwort würde ich wohl nur von ihr selbst bekommen.

Wir waren eine gute halbe Stunde auf der M1 nach Norden gefahren und bei Luton wieder vom Motorway runter. Amber lotste mich in ein Dorf namens Hexton. Das Schild, das auf ein Pub mit dem Namen ‚The Raven‘ hinwies, ließ meinen Magen fürchterlich knurren.

Kurzentschlossen stellte ich den Wagen auf dem Parkplatz ab. Amber deutete auf die einladend offen stehende Kneipentür. „Können wir uns eine Pause leisten?” Ich antwortete: „Wir sollten uns die Pause aus zwei Gründen leisten. Erstens habe ich einen mächtigen Hunger. Und zweitens möchte ich dir noch etwas zeigen.”

Ich deutete auf die Schachtel, die ich aus dem Auto mitgenommen hatte. Amber bekam große Augen. „Ich weiß nicht, was da drin ist ”, sagte sie. „Aber es ist gefährlich.” Ich nickte: „Also, lass uns reingehen.”

Das urige Pub war gemütlich und lud gleich zum Verweilen ein. Wir suchten uns einen Tisch, der nicht zentral stand, sodass wir vor etwaigen neugierigen Blicken geschützt waren. Mir lief das Wasser im Mund schon zusammen, als ich im Vorbeigehen die Burger sah, die gerade den anderen Gästen serviert wurden.

So einen wollte ich auch! Mit einer großen Portion der selbstgemachten Chips. Dazu bestellte ich mir ein Wasser. Amber orderte ebenfalls ein Wasser und entschied sich für die Damenvariante des Burgers. Eine kleine, ‚abgespeckte‘ Version.

Mich wunderte es ein wenig, dass wir trotz ihres doch recht auffälligen Erscheinungsbildes mit den roten Haaren und dem grünen Kleid so gut wie überhaupt nicht wahrgenommen wurden. Ich sprach Amber darauf an.

Sie schmunzelte und meinte: „Ja, ich kann den Leuten vorgaukeln, dass ich nicht interessant bin. Sie nehmen mich dann kaum bis gar nicht wahr. Wenn ich will, kann ich allerdings auch...“, sie sprach auf Deutsch weiter: „ein ganzes Bierzelt zum Wackeln bringen!“ Sie lachte auf und versprühte damit eine Fröhlichkeit, die wahrhaftig guttat.

Leider musste ich aber sofort wieder ernst werden und stellte die Schachtel mit dem Amulett auf den Tisch. Sofort spannte Amber ihren Körper an und ging ein wenig auf Distanz.

Ich öffnete die Schachtel und holte das kohlrabenschwarze Amulett heraus. Ich hörte wie Amber die Luft einsog und das Gesicht zu einer Grimasse verzog. „Es ist böse!” Amber verwendete fast genau dieselben Worte, die ich bei Mrs. Miller vor kurzem benutzt hatte. Auch mein Kreuz schien die böse Aura des Amuletts zu spüren.

Die Erwärmung auf meiner Brust war eindeutig. Ich hielt es etwas von mir weg und betrachtete es genauer. Die Fratze des Teufels war bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Das fünfzackige Emblem strahlte eine ungewöhnliche Kälte aus. Erst jetzt sah ich, dass auf der Umrandung etwas geschrieben stand. Leise las ich vor: „In andheri est salvatio! Das bedeutet übersetzt: In der Dunkelheit liegt die Erlösung. Zumindest sinngemäß.”

„Was kann damit gemeint sein?” Amber schaute mich fragend an. „Ich habe keine Ahnung”, gab ich zu. Ich drehte es noch einmal in meiner Hand und legte es schließlich zurück in die Schachtel. Wie auf Kommando erschien die Bedienung mit einem großen Tablett und servierte uns die köstlich riechenden Burger. Ich war so ausgehungert, dass ich sofort mit Messer und Gabel loslegte. Nicht mal zehn Minuten später saßen wir vor den leeren Tellern und genossen für einen kurzen Moment die gefräßige Stille.

„Wir sollten aufbrechen”, sagte Amber. Ich nickte, packte die Schachtel und ging an den Tresen, um die Rechnung zu begleichen. Ich gab ein großzügiges Trinkgeld und betonte, dass wir beide von dem Essen begeistert waren, was den Wirt natürlich erfreute, der uns freundlich verabschiedete.

Wir fuhren noch ein paar Meilen nach Norden, bis mich Amber bat auf einen unscheinbaren Feldweg abzubiegen. Das hohe Gras zeugte davon, dass der Weg nicht mehr oft genutzt wurde. Ich fuhr noch ein paar wenige Yards, bis ich den Wagen schließlich abstellte. Wir stiegen aus. Ich ging um das Auto herum und öffnete die Heckklappe. Aus dem Einsatzkoffer holte ich den silbernen Bumerang, eine Phiole mit Weihwasser und die magische Kreide. Die Luftdruckpistole mit Eichenbolzen ließ ich im Auto. Die Schachtel mit dem Amulett nahm ich vorsichtig in beide Hände. Amber war bereits ein wenig vorausgelaufen.

„Woher weißt du eigentlich, wo wir hinmüssen?”, rief ich ihr hinterher. „Google”, antwortete sie todernst. Ich muss wohl ausgesehen haben wie ein frisch geschorenes Schaf, denn Amber brach in ein schallendes Gelächter aus. „Mag sein, dass ich in Aibon aufgewachsen bin, John Sinclair, aber deswegen bin ich in dieser Welt nicht fremd.” Amber zwinkerte mir zu. Ich zog es vor, lieber meine Klappe zu halten.

Wir folgten einem Weg, der vor langer Zeit einmal einer gewesen war. Jetzt hatte ihn sich die Natur zurückgeholt, so als wollte sie sich dafür entschuldigen, dass hier vor langer Zeit einmal solche Gräueltaten passiert waren. Zu unserer rechten Seite erkannten wir Mauerreste, die wohl einst mondän und extravagant gewirkt haben mussten.

Nun wucherten überall Gräser und undefinierbares Grünzeug aus den Ritzen hervor. Wir folgten der Mauer und nach einer Kurve, die sowohl die wildgewachsenen Gebüsche als auch die frühere Umfriedung freigab, konnten wir auf eine aufsteigende Auffahrt blicken, an deren Ende das verfallene Carmine House stand. In längst vergangenen Tagen musste es ein prachtvolles Landhaus gewesen sein. Nun war es nicht mehr als ein schauriges Gerippe aus Mauerstein. Ich betrachtete es mit einem unguten Gefühl. Wie auf Kommando schwebte uns ein eiskalter Windhauch entgegen, so als wollte uns das einstige Schreckenshaus der Dunklen Mutter mit einem Höllengruß willkommen heißen.

„Wo befindet sich die Gruft?”, fragte ich mit kratziger Stimme. „Sie liegt unter dem Haus. Der Zugang befindet sich auf der Rückseite.” Entschlossen setzte sich Amber in Bewegung und marschierte linkerhand an dem verfallenen Gebäude vorbei.

Während sie sich scheinbar nicht von der morbiden Kulisse vereinnahmen ließ, zog mich die zerstörte Eingangstür wie das große Maul eines Ungeheuers in seinen dämonischen Bann. Es schien mir, als rufe es meinen Namen. Dann stürmte es plötzlich auf mich zu und drohte mich zu verschlingen. „Nein!”, schrie alles in mir, „Nein, diesmal nicht. Diesmal wirst du nicht gewinnen.” Sofort klärte sich das Bild. Das Ungeheuer war verschwunden und die Ruine wurde wieder das, was sie war, das steinerne Skelett eines seit über 150 Jahren toten Hauses. Hektisch sah ich mich um. Wo war Amber? Laut rief ich ihren Namen und hastete der rothaarigen Frau aus Aibon hinterher.

Dann sah ich sie! Amber kniete zwischen zwei großen Säulen, als hätte sie etwas verloren und suchte nun danach. Erst jetzt wurde mir gewahr, dass ich auf der Suche nach Amber wohl bergab gerannt sein musste. Die zwei Säulen befanden sich unterhalb des Erdgeschosses von Carmine House.

Jeden Pfeiler zierten grauenhaft entstellte Gargoylen, die mit ihren krallenbewehrten Klauen die Decke zum Eingang der Gruft der Dunklen Mutter stützten. Amber schien sich daran nicht zu stören. Sie untersuchte beinahe andächtig die riesige Steinplatte, die das Grabmal verschloss. Während alles um uns herum verfallen und zugewuchert war, sahen die Schreckenssäulen und die Steinplatte vollkommen unversehrt aus. So als hätte selbst die Natur Angst gehabt, hier zu wachsen. Die Steinplatte war glatt und nackt. Es waren keinerlei Zeichen oder Inschriften zu sehen. Das Ding war ein einziger großer Koloss aus Stein.

Ich hörte wie Amber einige Worte murmelte. Dabei hob sie ihren Kopf. Ihre Augen waren geschlossen und sie schien höchst konzentriert. Auf ihrer Stirn waren bereits erste Schweißperlen zu sehen. „Nichts zu machen, Geisterjäger!”, seufzte sie. „Ich komme nicht gegen die Barriere an. Die Gruft ist zu stark geschützt.” „Schätze ‘ne Klingel gibt‘s nicht?”, fragte ich halbherzig.

Ich näherte mich dem versperrten Eingang und merkte, wie sich mein Kreuz erwärmte. Der sichere Beweis, dass hier schwarze Magie im Spiel war. Die Kette war schnell über den Hals gestreift. Ich hielt das Kreuz in meiner rechten Hand und als ich langsam auf die große Steinplatte zuschritt, glühten urplötzlich die Augen der Gargoylen in einem tiefen Rot. Von zwei Seiten schossen rote Strahlen auf mich zu und schlugen mir das Kreuz aus der Hand. Es flog in einem hohen Bogen zur Seite und verschwand hinter mir im Gras. Ich fluchte und hielt mir die schmerzende Hand.

Amber holte das Kreuz und betrachtete es ehrfürchtig. „Ich kenne es”, murmelte sie. „Ich habe es schon einmal gesehen. Es ist wunderbar. Aber es kann auch zerstören.”
„Ja”, antwortete ich, „Es zerstört das Böse. Rigoros. Alle Kreaturen der Hölle fürchten es.”
„Bis auf die Dunkle Mutter!”, flüsterte Amber.

„Ja, ich befürchte, sie kann sogar von den Kräften des Lichts profitieren, anstatt in ihnen zu vergehen.” Amber gab mir das Kreuz zurück. Ich hängte es mir wieder um den Hals und ließ es unter dem Hemd verschwinden. Wie es schien, würde es uns nicht helfen können. Oder sollte ich es vielleicht aktivieren? Wenn es jedoch durch seine Kraft die komplette Gruft zerstörte, wäre uns auch nicht geholfen.

Ich schloss die Augen und schlug mir in Gedanken mehrfach gegen die Stirn. Warum war mir das denn nicht früher eingefallen? Das Amulett! Ich holte es aus der Schachtel hervor und spürte die erneute Erwärmung meines Kreuzes, welches wiederum die schwarze Magie des Amuletts wahrnahm. Mit dem Amulett, hocherhoben in meiner rechten Hand, näherte ich mich erneut dem Steinblock. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich die beiden Gargoylen.

Nichts regte sich. Langsam ging ich weiter. Kurz bevor ich mit dem Amulett die Steinwand berührte, glühte diese plötzlich in blutrotem Licht auf und offenbarte einen Kreis, der so groß war wie das Amulett selbst. Ohne zu zögern presste ich das Amulett hinein. Laut knirschend fuhr das Steintor in einer Wolke aus Staub nach hinten und gab den Eingang zur Gruft der Dunklen Mutter frei.

Wir betraten die modrige und nach Verwesung stinkende Grabkammer. Wir hatten keine Ahnung, woher die Helligkeit kam, aber ein kalter, blauer Lichtstrahl fiel auf einen hochragenden Menhir, der mittig in der hallenartigen Gruft stand. Klar zu erkennen waren darauf die Umrisse des Amuletts, welches ich noch immer in meiner rechten Hand hielt. Ein kurzer Blick zu Amber, die mir zunickte, und ich ging auf den Stein zu und ließ das Amulett in die Fassung gleiten. Es passte perfekt. Es klickte kurz. Dann drehte es sich und verschwand nach unten wie ein Druckschalter.

„Ich habe euch erwartet!” Die Stimme der Dunklen Mutter ließ mir einen eiskalten Schauer über den Rücken gleiten. „Dich, Sohn des Lichts, und deine süße, rothaarige Begleiterin. Leider werdet ihr hier und heute euer Leben aushauchen. Ich bin nicht weiter gewillt, mit euch zu spielen. Ihr werdet langweilig.” Es knackte und krachte.

Aus den Wänden der Gruft brachen Skelette heraus, die uns ohne jede Vorwarnung attackierten. Ich musste darauf hoffen, dass Amber sich selbst verteidigen konnte, denn ich hatte vollauf mit mir selbst zu tun. Ich zog die Beretta und hielt auf das erste Gerippe an.

Der Knall war überlaut und ließ meine Ohren klingeln. Die Kugel allerdings stanzte ein Loch in den Schädel des Skeletts. Es brach lautlos in sich zusammen. Ich legte auf den nächsten Gegner an und wollte den Stecher ein zweites Mal durchziehen, als mir ein mörderischer Schlag die Pistole aus der Hand hieb. Sie landete irgendwo im nirgendwo auf dem Boden. Ich wich dem nächsten Hieb reflexartig aus, denn gesehen hatte ich ihn nicht.

Dafür sah ich, wie wenige Meter vor mir ein Skelett in Flammen aufging. Amber schien sich also erfolgreich zur Wehr setzen zu können. Ich wich zurück und zog aus meinem Gürtel den silbernen Bumerang, mit dem ich in der gleichen Bewegung den Schädel des nächsten Skeletts vom Rumpf trennte.

Ich hackte wie von Sinnen auf meine Gegner ein, ließ Knochen splittern und Köpfe rollen. Die weißmagische Waffe machte kurzen Prozess mit den dämonischen Widersachern.

Nach kurzer Zeit stand ich schwer atmend und schweißüberströmt in der Grabkammer. Zum Glück strömte durch den Eingang etwas frische Luft hinein. Kaum hatte ich mich wieder einigermaßen orientieren können, da gab es einen gewaltigen Knall! Das steinerne Tor der Krypta hatte sich wie von Geisterhand wieder geschlossen. Wir waren gefangen.

Ich holte meine kleine Stableuchte hervor und steckte die silberne Banane zurück in den Gürtel. Die Lampe schnitt einen hellen Strahl in die Dunkelheit des Grabes. Überall am Boden verteilt lagen die Knochen und Schädel unserer Angreifer. Ich fand meine Beretta am Boden liegen und steckte sie wieder ein.

Amber stand in nächster Nähe und sprach mit einer ruhigen und gefassten Stimme: „Es ist noch nicht vorbei, John Sinclair.” „Natürlich ist es das nicht, du verfluchtes Weibsstück.” Die Dunkle Mutter war zurück und sie startete ihren letzten Angriff.

Laut schreiend schoss die Dunkle Mutter ihre Blitze auf Amber, die ihrerseits perfekt reagierte und im selben Augenblick einen Schutzschirm aus weißer Magie um sich aufbaute, den die schwarzmagischen Strahlen nicht durchdringen konnten. Ich konnte die Gesichter der beiden ungleichen Frauen im Licht der aufeinanderprallenden Energien genau erkennen.

Das hassverzerrte Antlitz der Dunklen Mutter brannte in tödlicher Wut, während Ambers Gesichtszüge sich vor Anstrengung grotesk verzogen. Die Kräfte der Dunklen Mutter schienen allmählich die Oberhand zu gewinnen. Amber wurde Zentimeter für Zentimeter zurückgeschoben, als hätte sie ein gewaltiger Sturm erfasst.

Ich zog die Beretta und schoss. Die Matar Andhera zuckte nicht mal mit einer Wimper, als die Silberkugel in einem wirkungslosen Funkenregen an ihrem Kopf abprallte.

Im Gegenteil. Sie schien durch meine Attacke eher noch weiter angestachelt zu werden. Die Zeit wurde knapp. Gleich würde die Dunkle Mutter Amber vernichten. Konnte der silberne Bumerang, der schon so viele mächtige Dämonen ins Reich des Spuks geschickt hatte, die Dunkle Mutter besiegen? Aus einem Impuls heraus entschied ich mich dagegen, streifte indes mein Kreuz über den Kopf und hechtete zu dem Menhir, in welchem noch immer das Amulett steckte. Ohne zu zögern drückte ich mein Kreuz auf das Amulett.

Und es reagierte.

Licht gegen Schatten, Gut gegen Böse. Der geballten Kraft meines Kreuzes hatte das Amulett der Dunklen Mutter nichts entgegen zu setzen. Hell leuchtete mein Talisman auf und vernichtete das Böse in ihrem Amulett. Zeitgleich schrie die Dunkle Mutter auf. Der Strom ihrer dunklen Blitze brach ab und sie wurde mit voller Wucht von Ambers weißer Magie getroffen.

Die Dunkle Mutter wurde gegen die Wand der Krypta geschleudert und dort von Ambers Energien festgehalten. Ich sah wie sich die weißen Blitze im Körper der Dämonin festfraßen und das einst makellose Gesicht attackierten. Das Ende der Dunklen Mutter stand unmittelbar bevor.
Plötzlich aber wurde Amber zurückgeschleudert. Eiskaltes Licht senkte sich über die Dunkle Mutter und zwei eisblaue Augen erschienen in der Dunkelheit. Das absolut Böse war gekommen: Luzifer!

Ich wusste nicht, was hier vorging, doch ich wusste, dass ich den Herrscher der Hölle mit meinem Kreuz in Schach halten konnte. Aber noch bevor ich es schaffte, die Formel zu rufen, war der böse Zauber auch schon wieder vorüber. Luzifer war mitsamt der Dunklen Mutter verschwunden.

Es geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Die Gruft öffnete sich wieder und etwas Tageslicht drang hinein. Amber erhob sich und signalisierte mir mit hoch erhobenem Daumen, dass es ihr gut ging.

Die Fassung, in der das Amulett lag, glitt nach oben und gab das Artefakt wieder frei. Das vormals schwarze Amulett war nicht mehr schwarz. Es war reinstes Silber. Sämtliche dämonische Symbole waren verschwunden.

Stattdessen sah ich in seiner Mitte zwei Flügel, die ein Schwert umrahmten. Vorsichtig nahm ich es aus der Fassung. War das unsere Waffe gegen die Dunkle Mutter? Es fühlte sich gut an. Ich ließ das handtellergroße Amulett in meine Tasche gleiten und wandte mich Amber zu. Ich half ihr auf und gemeinsam verließen wir die Gruft.

„Wie geht es dir?”, fragte ich und erschrak im gleichen Moment wegen ihres bleichen Gesichtsausdrucks. Amber flüsterte: „Ich habe es gespürt. Das Böse!”

„Ja. Luzifer”, entgegnete ich knapp. „Nein!”, sagte sie mit seltsam tonloser Stimme und blickte mir in die Augen.

„Es war meine Schwester!”

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Ich bin nicht der Messias - Doch, du bist es. Ich muss es wissen, denn ich bin schon einigen gefolgt.

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11.04.2021 03:56
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Wow, ich bin weiterhin begeistert, hier kommt der immer wieder schwierige Teil des Bandes, wie löse ich auf, wie erkläre ich Zusammenhänge, wie schärfe ich meine Waffen zum Finale, ohne etwas aus dem Hut zaubern zu müssen, weil ich mich verrannt habe...

Und das finde ich weiterhin gelungen, Aibon also auf der guten Seite, die böse Seite bekommt so ihre Andeutung und Verbindung über Aibon, zumindest evtl., auf jeden Fall haben wir hier eine Grundgeschichte um 2 Gruften und einer ausländisch klingenden Familie...

Und wir haben schon mal ein erstes Finale, in dem die Aibon-Gestalt und John mit guten Ideen einen Vorteil erhaschen, sich dann aber Luzifer einmischt, das Finale also noch einmal verschoben wird... Und so wie alles eingesetzt wurde ist auch alles stimmig und nachvollziehbar...

Ich kann mich schwer entscheiden, würde aber noch mal die 4 von 5 den 5 von 5 Sternen vorziehen, aber es war eng... Bin immer noch begeistert.

LG Lessy Daumen_hoch Alt

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