Band 22: Der Todesfluß
Knochige Hände lösten die Taue. Schwere Stiefelschritte pokerten über die Holzbohlen des plumpen Wasserfahrzeugs. Wieder packten die Hände zu, zogen stählerne Hebel aus der Arretierung.
Die Fähre wurde von den Fluten des Stromes gepackt. Wellen schmatzten gegen den geteerten Rumpf. Über den Fluß fauchte ein eisiger Windhauch. Düstere Wolkenbänke schoben sich vor den Nachthimmel. Kein Mondlicht wurde frei.
Der alte Fährmann stand aufrecht und unerschütterlich. Selbst bei Sturm und Wellengang hatte er so gestanden - knorrig, hager, wie mit den Decksplanken verwachsen. Dreißig Jahre lang, tagaus, tagein. Die Rhône war sein Gesprächspartner geworden, Wind und Wetter seine Gefährten.
Von armdicken Drahtseilen gehalten, wurde die Fähre durch die Strömung langsam zur Flußmitte geschoben. Jäh kam der pontonähnliche Rumpf mit den eisernen Geländern zum Stillstand - so, als sei plötzlich ein unsichtbarer Anker geworfen worden.
Der Fährmann verließ seinen gewohnten Platz bei den Steuerhebeln. Ruhig, das lederhäutige Gesicht in den Wind gerichtet, ging er zur vorderen Rampe. Heftige Böen kamen auf, schluckten das Poltern seiner Schritte: Dann blieb der alte Mann stehen. Seine dunkle Arbeitskleidung ließ ihn vor dem Nachthimmel konturenlos erscheinen.
Erscheinungsdatum: 22.04.1975
Autor: Horst Friedrichs
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