Das Vorher, das Nachher und das Mittendrin



Im vorigen Heft, „Der Lange Mann“ (GK. 133), habe ich einen kleinen, satirischen Einblick darin gegeben, wie man einen Musgrave-Roman schreibt. Heute wollen wir uns einmal ernsthafter anschauen, was eigentlich am heimischen Schreibtisch vor sich geht, rings um das Verfassen eines Heftromans. Dabei lenken wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf Inspiration und Recherche (die Recherche bekommt noch ihren eigenen Artikel), sondern ganz nüchtern auf das Handwerk und die Organisation.

(Spoiler: Jeder Autor, jede Autorin, hat seine eigene Art zu arbeiten. Egal ob 600-Seiten Fantasy-Türstopper, Kriminalroman, oder eben auch Heftroman. Es gibt kein „richtig“ und kein „falsch“ im Allgemeinen – nur ein „es funktioniert für mich“ oder ein „so kann ich nicht arbeiten“. Here’s me.)

Wenn der Plan zum Heft im Kopf ist, zusammengesetzt aus allerlei dunklen Bildern, Dialogen und Schabernack, setzt der nämliche Autor sich hin und legt erst einmal einen Ordner an. Ordnung ist das halbe Leben, und im Falle eines, wie auch immer gearteten, Romans sogar dreiviertel. Man darf eine bündige Organisation nicht unterschätzen. Sie erleichtert alles, spart Nerven und verhindert ärgerliche Fehler (die einem gewöhnlich immer dann auffallen, wenn das Fulfillment dir deine Exemplare gebracht hat und du die erste, völlig beliebige Seite aufschlägst).

Im Ordner befinden sich dann bald die Anlagen für mehrere, immer gleiche Dateien:
- Das Manuskript-docx., in Form einer vorgefertigten Normseiten-Datei (Normseite = 60 Anschläge pro Zeile, 30 Zeilen, Schriftgröße 12). Da hinein wächst nach und nach die Geschichte.
- Die Easteregg-Datei, in der ich separat eingebrachte Hintergründe, versteckte Details und derlei verwandte Stichpunkte sammle. Das kann z.B. etwas von dem sein, das Harker in jeder Episode zum Besten gibt; das aber nicht direkt mit dem Fall verbunden ist. Wie Daten zu Feensärgen oder Hexenflaschen.
- Eine tx. Namens „[Titel]Szenen“. Wie unschwer zu erraten ist, kommen hier die Skizzen bereits ausgedachter Szenen und Dialoge hinein. Mal ist das mehr, mal weniger. Es kommt darauf an, hat aber keinen Einfluss auf das allgemeine Wuppen beim Schreiben. Oft halte ich hier Dialoge fest, damit ich sie bloß nicht vergesse. Ebenfalls enthält diese Datei Hinweise zu Örtlichkeiten, Namen und anderen Daten, die ich nicht durcheinanderbringen sollte.
- 1-2 verschiedentlich benannte Dateien, die Rechercheergebnisse zu den Hintergründen des eigentlich Falls enthalten. Auch hier schwankt die Datenmenge. Teil 1 hatte weniger Notizen, Teil 4 deutlich mehr, Teil 3 hielt seine Gedankenstützen in erster Linie in Form von gespeicherten Links zur Urban Legend des „Goat Man“ fest.

Wenn das erledigt ist, geht es mit der Recherche weiter, der wir uns, wie gesagt, bei anderer Gelegenheit näher widmen.
Ist aber auch das in Sack, Tüten und Särgen, alle gedanklichen Notizen sind in ihre zugehörigen Dateien sortiert, Wasser, Kekse, Stressball und Kopfhörer liegen bereit: Dann geht es los.

Das Schreiben an sich ist eine eher unspektakuläre Tätigkeit. Du sitzt da. Du tippst. Du starrst geradeaus, auf die Wand, die Staubmäuse in den Ecken des Schreibtisches, aus dem Fenster. Du denkst an Astrid Lindgren, die sagte: „Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.“
Und das stimmt. Wenn ein Autor dasitzt wie ein Ölgötze und sich scheinbar von der Welt abgekoppelt hat, dann denkt er in Wirklichkeit nach. Er fragt sich, ob es nicht vielleicht doch etwas banane ist, was du waffentechnisch planst (aber du entscheidest dich eh pro-Banane, weil du Heftromanautor bist und es einfach liebst), wo du dieses Dingens über Steinkreise gelesen hattest, und ob der Tatablauf so funktionieren kann, wie du es dir denkst (yes, it can).

Während du schreibst, brauchst du deine Dateien. Deine Dateien sind deine Freunde. Du kannst dort immer nachsehen wie-wo-was war [auch die SuFu in Word ist dein Freund, und Strg+F auf Internetseiten]. Während du schreibst, pflegst du aber auch ein, was du gerade gesagt hast.
Dieser Schritt ist tatsächlich wichtig: Mach es gleich. Nicht, wenn du den Text nochmal überarbeitest. GLEICH. Denn, je besser du einen Text kennst, je schneller übersiehst du Dinge, die später nochmal wichtig sind, segelst über Fehler in Schreibweisen hinweg, und findest mit einem Mal doch nicht mehr so wichtig, wie weit jetzt Stadt X von Dorf Y entfernt ist. Und die Rache des Schluderns wird über dich kommen wie Ahornsirup.

Indem du also Eliza und die Gang zwischen Tatorten, Besprechungen und dem Schießstand hin und her scheuchst, notierst du brav, was du später noch einmal brauchen wirst. Außerdem hältst du fest, was du später als kleine Werbung auf Twitter verwenden könntest, und was als Detail in anderen Episoden wieder auftauchen kann.

Wenn du den glorreichen Tag erreicht hast, an dem du ENDE unter den Text tippen darfst, ist die Arbeit aber nicht vorbei. Du fängst nämlich von vorne an.
Zunächst machst du einen Tag lang etwas anderes, um das Hirn ein bisschen zu lüften. Dann beginnst du wieder bei Seite 1, liest alles durch, korrigierst, überprüfst, verbesserst, schneidest raus („Cutting is Caring“), gleichst mit deinen Recherchen ab.

(Glaube aber nicht, dass es irgendein Druckwerk gibt, das frei von Fehlern ist. Dieses ist so unmöglich wie ein Schwarzes Loch in eine Hutschachtel zu sperren. Wir alle tun aber unser Bestes. Das darf man getrost glauben.)

Kurz sitzt du nun und überlegst. Passt alles? Stimmt das so? Bist du zufrieden mit dem Heft, oder beißt dich noch was?
Wenn alles sitzt, passt und Luft hat, klimperst du das Exposé (ja, das mache ich immer hinterher), gewöhnlich zu lang, und, je nach Heft, einen Werkstattbericht oder Sonderseiten, lässt nochmal sacken – dann geht die Post ab nach Köln. Größ‘ mer dr Dom!

Du bist aber immer noch nicht fertig.
Denn nun, da man am Rhein die Maschinerie in Bewegung setzt, die auch deinen neuesten Roman in die Läden bringen wird, bist du am nacharbeiten.
Das ist ein wenig wie das Einpflegen der wichtigen Details, das du bereits während des Schreibens gemacht hast. Jetzt wandern die Informationen allerdings in andere Dateien.
Warum? Simpel:
Wenn ich z.B. wissen will, wie nochmal dieses eine verflixte Dorf hieß, oder der Milchmann von Goodman’s Land, dann kann ich schnell ins Schwitzen kommen, wenn ich mich frage, WO zum Geier ich das gesagt habe. Alle Ordner durchwühlen (jede Episode hat ihren eigenen) und dort die Einzeldateien aufmachen? Nope.
Drum gibt es Dateien mit Namen wie „Orte“, „Waffenkunde“ oder „Stammdaten“ (wo ich Hintergrundschnipsel zu einzelnen Figuren aufgeführt habe). Auch hierzu schneidere ich noch einen eigenen Artikel.

In diese Extra-Dateien wird feinsäuberlich einsortiert, was ich gesagt habe, wie was zusammenhängt, und wo es erwähnt wurde.
Zu Beginn denkt man ja noch, man wird sich all das merken. Immerhin liebt man die Serie, die Figuren, den ganzen herrlichen Kappes den man da verzapft.
Aber in der Realität hast du zweitausend andere Dinge um die Ohren, du schreibst auch noch an einem anderen Roman, und nach spätestens drei-vier Folgen kommst du gewaltig ins Schlingern. Denn du bist, überraschender Weise, kein Diktiergerät.
(Und du weißt, dass deine Leser das merken werden. Wenn Graham plötzlich eine falsche Adresse hat, Elizas und Henrys Heiratsdatum nicht stimmt, oder der Milchmann seine Namen wechselt wie der April das Wetter.)

Es gibt also, wenn wir resümieren wollen, eine Vorarbeit. Sie sorgt dafür, dass deine Werkzeuge da liegen, wo du sie brauchst. Griffbereit, und nicht verbuddelt unter drölfzig anderen Dingen. Nimm dir ein Beispiel an Jethros Werkstatt!
Es gibt die „mittlere“ Arbeit, die das Schreiben begleitet. Sie sichert dich gegen das „betriebsblind“ werdende Hirn ab. Und, zu guter Letzt: Die Nacharbeit, die den Text überarbeitet, all die Notizen, Ideen, auf später verschobenen Szenen, und Bezeichnungen zusammenstellt und organisiert.

Und wenn all das getan ist, der frisch unterzeichnete Vertrag neben dir lächelt, und du gespannt bist, mit welcher Nummer das nächste Abenteuer an den Start geht:
Dann fängt alles, alles wieder ganz von vorne an.

Und so, meine Lieben, schreibt man in Wirklichkeit einen Musgrave-Roman.

Yours truly
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"Während der Roman noch googelt und Bücher wälzt, um sicher zu sein, dass das was er vorhat auch sein kann, tritt der Heftroman einfach die Tür ein."

#InsideMusgrave